Dienstag, 15. Februar 2011

Zimmer Nr.2: DVD Bang!

Den "DVD-Raum" kann man sich nun grundsätzlich einmal vorstellen wie eine stinknormale Videothek. Man sucht sich einen Film aus, zahlt und dann - nein, dann geht man nicht wieder nach Hause und guckt auf dem Sofa liegend in die alte, flimmernde Röhre, und spielt nach Ende des Films „schnick-schnack-schnuck“, um herauszufinden, wer jetzt noch einmal die verklebten Augenlieder aufstemmen und zurück zur Videothek radeln muss, um den Film wieder abzugeben. Nein, man bleibt einfach im DVD Bang und macht es sich in einem der Filmzimmerchen gemütlich, das fast vollständig mit einer riesengroßen Liegecouch, naja, eigentlich eher einem Monsterbett mit optionalen Rückenkissen ausgefüllt ist, und lässt sich den Film an die Wand beamen. Ausgestattet mit Popcorn, Chips und Bier befällt einen dort ein heimeliges Privatkinofeeling.
 

Das ist übrigens für mich auch eine der wenigen Möglichkeiten koreanische Filme mit englischen Untertiteln anschauen zu können, da im Kino und Fernsehen, so wie bei uns eben auch, natürlich davon abgesehen wird. Meine bisherigen Studien des koreanischen Films haben ergeben, dass Koreaner offensichtlich viele Kriegsfilme drehen und anschauen. Vergangenheitsbewältigung - da sind sie den Deutschen wohl recht ähnlich! Beliebtes Motiv sind die Brüder, die im schlimmsten Fall in den Kriegswirren getrennt werden, und dabei auf verschiedene Seiten geraten. Und dann stehen sie sich natürlich plötzlich an der Front gegenüber, der eine mit der kommunistisch roten Armbinde des Nordens, der andere die Demokratie Südkoreas verteidigend. Best übersetzter Titel dieser Reihe: „Brotherhood – wenn Brüder aufeinander schießen müssen“! Auch Monsterkatastrophenfilme sind äußerst beliebt. Das beste Beispiel ist das Fluss-Monster im Kassenschlager „The Host“, das durch einen verantwortungslosen amerikanischen Wissenschaftler (Die Beziehung der Koreaner zu den USA ist milde gesagt ein wenig unentspannt. Zwar sind die Amerikaner einerseits die Retter, ohne deren Hilfe man im Koreakrieg dem nördlichen Aggressor in kürzester Zeit komplett ausgeliefert gewesen wäre. Andererseits aber hat man seit der 35-jährigen japanischen Kolonisierung, in der die Japaner versuchten die koreanische Kultur und Identität vollständig auszulöschen, ein gespaltenes Verhältnis zu sogenannten „Befreiern“. Denn Japan hatte unter dem Vorwand bei der Niederschlagung innerer Unruhen zu helfen, dieses auch erst getan, um im Anschluss dann das geschwächte Korea zu annektieren. Und so ist man den Amerikanern zwar einerseits sehr dankbar, andererseits beäugt man sie misstrauisch. Und so kommen sie dann auch in den Filmen nicht immer ganz gut weg!), der gefährliche Chemikalien in den Han Fluss kippen lässt, als Megamutant entsteht und den Seoulern mit seiner kreisförmigen Mundklappe, angefüllt mit geschätzten 15 Zahnreihen, auflauert. Das Monster knabbert die Leute an, verschlingt sie, käut sie wieder, frisst sie schlussendlich anständig auf, um dann einen klappernden Knochenhaufen auszuspeien. Psychothriller sind auch äußert beliebt: der Massenmördern, der aussieht wie du und ich, bevorzugt die Anonymität der Großstadt und ihrer Apartmentsiedlungen. Er liebt verregnete Nächte und Hämmer. Das spritzt nämlich immer so schön, wenn man damit seinen um Gnade flehenden Opfern den Schädel einschlägt. Echt unangenehm! Horrorstreifen sind auch noch gern gesehen und Geistermädchen in Schuluniform spielen darin oft die Hauptrolle. Überhaupt ist eine wichtige Regel in den düsteren Genres des koreanischen Films, dass das Blut, wenn nicht auch aus den Ohren, dann zumindest doch immer aus dem Mund rinnen muss!

Damit ist aber nur die eine vordergründige Daseinsberechtigung dieses gemütlichen Kinozimmers erwähnt: Filme anschauen! Gleichzeitig  ist so ein DVD Bang aber auch das, was für unsere Elterngeneration das Autokino war: ein wahres Fummelparadies! Denn obwohl die koreanische Gesellschaft technisch hochmodern ist, ging der rasante Fortschritt wohl doch ein wenig zu schnell, weshalb sie im Privaten meist noch immer stockkonservativ sind. Die Kinder leben im Prinzip so lange bei den Eltern bis sie entweder zum Studium in eine andere Stadt ziehen oder selbst heiraten. Besonders die Mädchen müssen, unabhängig vom Alter, spätestens um 12 daheim sein - zur selben Zeit schließt auch das Wohnheim der Uni. Männer- bzw. Frauenbesuch kommt weder im Wohnheim, noch zu Hause in Frage, es sei denn man möchte die Details der Hochzeit planen. Wenn man jetzt einmal darüber hinwegsieht, dass man eigentlich keinen näheren Kontakt zum anderen Geschlecht haben sollte, es sei denn man hat den Verlobungsring schon anstecken (Die Pille gibt es hier rezeptfrei in der Apotheke, denn wer zum Frauenarzt geht erwartet entweder ein Baby oder ist eine Prostituierte. Es lebe die Aufklärung!), hat man immer noch das Problem, dass man gar nicht wüsste, wo man sich denn einmal ungestört treffen könnte. Und damit wären wir wieder beim DVD Bang angelangt: Dort kann man endlich einmal allein zu zweit sein und den Augen der Öffentlichkeit entkommen. Dort ist es dunkel, man hat eine Filmlänge Zeit – es empfiehlt sich ein möglichst lauter Film mit Überlänge – und man hat ein enormes Bett als Spielwiese für die private Petting Party zur Verfügung. Diese Megacouch ist dem möglichen Anlass entsprechend aus hygienisch abwischbarem Plastik. Und zur notwendigen Ausrüstung eines DVD Bang Betreibers gehören Tonnen an Taschentüchern. Denn sobald der Abspann des Film halb abgelaufen ist, kommt ein Angestellter mit einem Tablett angewieselt, auf dem eine große Flasche Desinfektionsspray und ein ganzer Haufen „Wisch und weg“ –Tücher aufgestapelt ist. Er knipst das Licht an, begutachtet die eventuelle Sauerei und macht sich sogleich an die Arbeit. Die vermeintlichen Übeltäter haben wohl schon bei der ersten Zeile des Abspanns die Flucht ergriffen!

Wenn einen also einmal ein netter, sympathischer Koreaner des anderen Geschlechts  zum Videoabend einläd, dann sollte man in Betracht ziehen, dass das Gegenüber vielleicht nicht nur als Cineast und Filmliebhaber an dem neuesten Streifen auf DVD interessiert ist…

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