Samstag, 5. Februar 2011

Zimmer Nr.1: Norae Bang – der Liedraum

Singen gehört zu Asien wie Kimchi zu Korea, wie Mao zu China und wie Hello Kitty zu Japan. Praktiziert wird das mit großer Vorliebe im 노래방 (sprich: Norae Bang), als 卡拉OK (sprich: ka-la-OK) oder eben, so wie es auch bis zu uns durchgedrungen ist: Karaoke! Nun kann man als Tourist noch einen großen Bogen um die Singerei machen, auch wenn man mit diesem mutwilligen Verhalten so einiges an Asien-Erfahrung verpasst. Wenn man sich aber ein wenig länger in einem ostasiatischen Land aufhält, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Denn ob Geburtstagsfeier oder Geschäftsessen – früher oder später landet man beim Karaoke. Es lässt sich dabei nämlich so einiges miteinander verbinden: man sitzt beisammen, allerdings nicht so undynamisch wie in einer Kneipe. Man kann sich unterhalten, quatscht sich aber nicht fest. Man hat Musik und ist sogar für Auswahl und Interpretation selbst verantwortlich. Man kann tanzen, und die Hemmschwelle ist nicht besonders hoch – schließlich ist man ja unter sich. Und ein Fetztenrausch kann bei Bedarf auch gleich mitgetankt werden… 


Wer Karaoke noch nie in Asien erlebt hat, wird nicht verstehen, warum es so viel Spaß macht. Denn aus Deutschland kennt man Karaoke nur als ein festes Donnerstagabendprogramm im Irish-Pub. Dort fühlt man sich entweder als würde man die restlichen randvoll pöbelnden Anwesenden stören, die gerade lieber das Fußballspiel ungestört kommentieren würden. Oder es vergeht einem schlicht die Lust bei all den Selbstdarstellern, die sich auf die Karaoke Bühne drängeln, um ihrer gescheiterten Musikerkarriere dort einen kläglichen Ausdruck zu verleihen. Die singen jeden Abend immer wieder dieselben Songs, die sie daheim unermüdlich geübt haben und mit stimmlichen Schnörkeln und Vibrato versehen, dass es einem die Zehennägel hochdreht. Manche treffen auch keinen Ton, haben aber Spaß daran sich mit ihrer Performance total zum Affen zu machen. Und bei all diesen Freaks und armen Seelen soll man sich dann noch dazwischen quetschen, um seinen eigenen Song ganz unbedarft zum Besten zu geben? 


In Ostasien dagegen mietet man einen, der Gruppengröße entsprechenden, lustig blinkenden Raum mit gemütlichen Sofas, einem Tisch und einer bunten Auswahl an Rhythmusinstrumenten wie Rasseln oder Schellenkränzen. Dann gibt es noch einen entscheidenden Knopf. Wenn man diesen drückt erscheint der Karaoke-Kellner dimmt das Licht, regelt Heizung und Lüftung – je nachdem in welchem Hitzestadium sich der Abend gerade befindet – oder bringt Alkoholnachschub. Und dann kann‘s auch schon losgehen: Aus der manchmal langen, manchmal längeren und manchmal – wenn man auch der jeweiligen Landessprache mächtig ist – extrem langen Liederliste wählt man seine Favoriten mit der Fernbedienung in das Menu ein und schon geht’s los. Ein Song folgt dem nächsten. Und es dauert meistens nicht lange bis auch diejenigen, die vorher steif und fest behauptet haben, dass sie nicht singen können – sie hätten schon als Kind bei den ersten naiven Trällerversuchen von „Ein Männlein steht im Walde“ alle seine Bewohner inklusive Klopfer und Bambi in rasende Flucht geschlagen, weshalb sie seit dieser traumatischen Erfahrung nie wieder gesungen hätten und folglich ihre Stimmbänder auch heute Abend nicht in Richtung Mikro erzittern lassen würden – erst unauffällig und unverbindlich mit dem Mikrofon herumspielen, dann schon ein wenig mutiger „eins-zwo-eins-zwo-hallohallo-hehe“ in die Membran murmeln, um dann plötzlich aufzuspringen, um Elvis nicht nur stimmlich sondern auch mit vollem Körpereinsatz zu mimen. Puhh, na endlich! 


Und so Reihen sich die Songs aneinander wie die leeren Bierflaschen: „Yellow Submarine“ gegrölt, „You’re the one that I want“ im Duett, „Creep“ gejammert, zum ersten Mal im Leben aus Versehen „I’ll be missing you„ gerappt, kläglich an „Don’t stop me now“ gescheitert, bei „Nothing compares“ die eigenen Stimmbänder und die Trommelfelle der Zuhörer auf eine Zerreißprobe gestellt, bei „What’s up“ langsam einen Kehlkopfkrampf bekommen und dann alle zusammen – Mikrofon ist schon lange nicht mehr nötig, kann sowieso niemand mehr finden, muss wohl in eine Sofaritze gerutscht sein – den Abend mit „Lemon Tree“ ausklingen lassen…

Müde gesungen und mit kratzigen Stimmen, aber beschwingt und schwindelig torkelt der Gesangsverein dann auf die Straße hinaus, die genauso wild blinkt wie der Karaoke Raum. Und dabei flüstert mir der Bambi-Verscheucher ins Ohr: „Das machen wir bald mal wieder, okay?“ 



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