Freitag, 26. November 2010

Schweinebraten in Kathmandu, Teil 1

Kathmandu ist dreckig, chaotisch und stinkt! In diesem Sinne also das komplette Gegenteil von Deutschland (Fußgängerunterführungen, Dixie-Klos und das alte Sofa im Partykeller einmal ausgenommen). Und doch gibt es einen persilblütenreinen Flecken mitten im Gehupe der Rauch speienden Autos, mitten zwischen Müllbergen, in denen die Kühe grasen (die vielen bunten Chipstüten stehen durchaus auch auf dem Speiseplan der heiligen Paarhufer), und mittendrin im würzigen Aroma brennender Plastiktüten. Auf einer von Schlaglöchern zerfurchten Straße ragt hinter hohen Mauern eine schneeweiße Residenz in den blauen Himmel. Der saftig grüne Rasen rundherum ist fein säuberlich getrimmt, der Kiesweg blank gekehrt. In den polierten Fensterscheiben spiegelt sich die strahlende Sonne. Die bunten Blumen in den Beeten und die zarten Rosenstöcke wiegen sich köstlich im Wind. Sogar die Luft wirkt hier einen Tick frischer! Nun biegt ein weißer Mercedes in das Anwesen ein. Majestätisch (und ohne zu Hupen!) rollt er vor der Pforte aus. Der Fahrer schreitet einmal um den Wagen herum und öffnet die hintere Tür, aus der der Konsul in feinem dunklen Garn mit Krawatte in schwarz-rot-gold steigt…

Wüsste man es nicht besser, möchte man meinen, man wäre in Deutschland. Denn Deutschland ist natürlich sauber, ordentlich und wohlbehütet! Und tatsächlich ist diese Annahme nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, denn wir befinden uns auf dem Gelände der deutschen Botschaft Kathmandu, meinem Arbeitsplatz für insgesamt drei Monate. Und das Beste daran ist, dass mein Praktikum pünktlich zum Tag der deutschen Einheit, unserem Nationalfeiertag, beginnt. Das bedeutet: bevor ich mich noch irgendwie mittelfristig orientiert und tatsächlich was Handfestes gearbeitet habe, werde ich auf einem richtig waschechten Botschafterempfang teilnehmen. Die Kür vor der Pflicht! Ich werde unbekannten, aber unglaublich wichtigen Partygästen zuprosten, vom 5-Sterne-Buffet naschen und mit einem Sektglas in der einen, zahllosen Visitenkarten in der anderen Hand, über den Rasen des mit Lichterketten geschmückten Gartens stöckeln. Irgendwie erschreckend - aufregend!

Aber auch klar, dass die Realität eine etwas andere Farbpalette bevorzugt. Grundfarbton: verschwommen! Abgesehen davon nämlich, dass es sich besonders schlecht stöckelt, wenn die Riemchen an den brandneuen Schuhen reißen und eine unvermeidliche Laufmasche wenig glamourös wirkt, hatte ich
nicht erwartet, dass es bei mir so viel Verwirrung hervorrufen würde, wenn die deutsche Nationalhymne mitten im exotisch begrünten Botschaftergarten ertönt, in dem ich mich umringt von Palmen, Mangobäumen und Nepalesen in Saris oder mit Topi wiederfinde (Der Topi ist ein freches, buntgemustertes Käppi der im Kathmandutal ansässigen Volksgruppe der Newari. Als Händler-Kaste haben sie es durchaus zu Wohlstand gebracht und auch in der Politik so ziemlich die Hosen an. Sie bekennen sich zudem - ohne zu Schwanken - zum Hinduismus-Bhuddismus!). Ich beobachte dabei wie der Wind durch die riesige Flagge haucht und mit den schwarz-rot-goldenen Streifen spielt. Untermalt wird das ganze Schauspiel vom lustigen Sound der Kakadu Familie (oder welches Federvieh auch immer solch glucksend-kichernde Geräusch von sich gibt), die in den Avocado Büschen gleich links neben dem Nachspeisenbuffet haust.  

 
Meine Orientierung gerät langsam aber sicher durcheinander! Daran ist sicherlich auch der Party-Service nicht unbeteiligt. Denn hier wird einem ständig von einem der unzähligen Kellner mit Silbertablett und Serviette über dem Arm das ein oder andere starke oder noch stärkere Getränk gereicht, sobald das eigenen Glas auch nur halbleer ist. Damit der Schwindel nicht gänzlich überhand nimmt und ich mich nicht mit meinen Absätzen im Rasen festhacken muss, beschließe ich das Buffet zu erkunden, um meinen Magen anderweitig zu beschäftigen. Und da wird doch tatsächlich aufgetischt, wovon ich kaum glauben mag, dass es solch abgelegene Gebirgsregionen heimsuchen könnte: mitten im Himalaya kann man in den Genuss eines alpenfrischen Apfelstrudels kommen; dem Oktoberfest nur mit knapper Not entkommen, umstellen mich hier Würste und Sauerkraut in aller Couleur (auch wenn mir die berühmte „German Chicken-Sausage“ doch ein wenig fremd vorkommt - weshalb ich sie besonders ausgiebig studieren muss!); und mitten zwischen den fremden Klängen der nepalesischen Sprache kitzelt einen der vertraute Geruch von Schweinebraten mit Kartoffelknödeln und viel Soße in der Nase. In der Tat, meinen verwirrten Magen kann ich mit dieser ungewöhnlichen Kulinarik ablenken, besänftigen jedoch nicht. Denn wenn man seit einiger Zeit an eine Diät aus vegetarischem Curry und Dhal Bhat (ein sehr magenfreundliches, man könnte auch sagen ein wenig fades, Linsengericht mit Reis) gewohnt ist, dann können Wursttürme und Krautberge da durchaus mal was durcheinander bringen  aber, Moment, so weit sind wir noch nicht! Nachdem ich die Tagesordnungspunkte „Bar plündern“ (wie bereits erwähnt, bin ich in diese Nummer völlig unschuldig hineingeraten) und „Buffet abgrasen“ (wenn man nicht weiß wie lange man solch heimatlich anmutende Bissen nicht mehr zu Gesicht bekommen wird, ist es praktisch vorprogrammiert sich in der Menge ein wenig zu vergreifen) bereits abhaken konnte, bleibt nun nur noch „Visitenkarten austauschen“ übrig  schließlich wartete ein frischgedruckter Stapel davon in meiner Tasche!

Und so durchstreife ich das Schlachtfeld auf der Jagd nach hohen Tieren und interessanten Persönlichkeiten der nepalesischen Gesellschaft. Und natürlich findet sich hier so einiges, was meinem Beuteschema entsprechen würde. Die Besagten sind jedoch allesamt bereits in ein angeregtes Gespräche vertieft, in das ich mich als „gesichtslose“ Praktikantin mit Laufmasche nun auch nicht hineindrängen möchte (auf meiner Visitenkarte steht übrigens „Research Assistant“, was nicht so ganz falsch ist, denn auf der Suche ist man hier ja recht oft), oder tun sonst etwas wichtiges wie Rede halten oder der Botschafterin zuwinken... Nachdem ich also ein paar Runde vergeblich durch das Getümmel getigert bin, entschließe ich mich zum Rückzug auf einen sicheren Beobachterposten für eine kurze Verschnaufpause am Rande des Geschehens. Kaum nippe ich ein paar Mal an meinem Glas Weißwein (wie ist das eigentlich schon wieder in meine Hand geraten?), schlendert auch schon ein Nepalese im Nadelstreifenanzug zu mir heran, streckt mir seine Visitenkarte entgegen und stellt sich als Leiter einer NGO vor (deren Name leider im Weißwein ertrunken ist), die sich für die politische Bildung von Jugendlichen einsetzt. Und er würde sich gerne einmal mit einer jungen Deutschen, die dem Studentenleben noch nicht allzu fern zu sein scheint (hmmm?!?), über Politik austauschen. Aha, wer sagt's denn, klingt doch interessant! Dass das Gespräch von ihm dann ziemlich bald zu Hitler übergeleitet werden würde, den er unbeirrt in den höchsten Tönen preist, war mir bei seiner harmlosen Einleitung so auch noch nicht klar. Als er dann auf meinen Einwand, dass das Dritte Reich für Deutsche ein ziemlich heikles Thema sei und er sich da auf recht dünnem Eis bewege, so gar nicht reagiert, muss ich leider ein wenig unwirsch, mit der Ausrede ein paar Fotos für die Frau Botschafterin schießen zu müssen, ganz schnell die Kurve kratzen. Und schon kommt der Nächste auf mich zu. Ein Whiskey Glas lässig in der Linken, mir seine Visitenkarte mit der Rechten entgegenstreckend, stellte er sich als Herr Dr. „N?la??ga“ vor. Man braucht wohl ein wenig Zeit sich in die nepalesischen Namen reinzuhören, bevor man sie sich merken kann, aber die entscheidende Information ist - das bekomme ich nach mehrmaliger Wiederholung unmissverständlich mit - , dass er als junger Chirurg in seiner Klinik Tag und Nacht am Schibbeln und deshalb völlig überarbeitet und ausgelaugt ist! Deswegen gönnt er sich offensichtlich an einem seiner wenigen freien Abende einen Whiskey nach dem anderen auf dem Botschafterempfang - for free?!? Das Glas hat er dabei in ein Taschentuch gehüllt, wohl um den Pegelstand zu verhüllen, der eigentlich immer auf der gleichen Höhe verweilt, da er sich pausenlos nachschenken lässt. Als ich dann aber bald aus seinem Gelalle nicht mehr recht schlau werde, verschanze ich mich gnadenlos hinter dem Buffet. In einem Vanilleeis mit heißen Himbeeren rührend (eigentlich war mir schon ein wenig übel von dem ganzen Durcheinander in meinem Magen, aber ich brauchte ja etwas, in das ich mich vertiefen kann, um jedem klar zu machen, dass ich offensichtlich beschäftigt und nicht ansprechbar bin), sinniere ich, beschickert vom Nachspeisenbuffet, so vor mich hin: Auf Botschaftsempfängen tummeln sich viele interessante Leute. Das sind diejenigen, die mit der Botschafterin per Du sind oder mit dem Ministerpräsidenten zum Golfspielen gehen. Unter diese mischen sich aber auch eher uninteressante, seltsame oder auch erschreckende Gestalten. Diese landen früher oder später an der Bar und erzählen dem Keeper das tragische Ende ihrer letzten Liebesbeziehung oder  und da komme ich unangenehmerweise wieder ins Spiel  stürzen sich auf die Botschaftspraktikanten, die noch nicht anderweitig Fuß fassen konnten... 



Solcherart wirre Überlegungen kreisen auch noch in meinem Kopf, als ich den Weg nach Hause in mein Bett bereits gefunden habe, in dem ich mich unruhig hin und her wälze. Denn irgendwie schwankt mein Bett wie ein Schiff. Oder sind es nur meine Gedanken die so unbändig in meinem Kopf herumschwappen? Oder die Wellen der Weinbrandungen in meinem Magen? Am Ende war es dann doch nur der unvernünftige und übermäßige Genuss deutsch-nepalesischer Freundschaftswürste, die an meinen nächtlichen Halluzinationen sowie auch an reelleren Manifestationen einer leichten Magenverstimmung Schuld sind. Vielleicht, denke ich mir im Dunklen der nepalesischen Nacht auf dem mehrmaligen Weg zur Toilette, sollte ich es einfach ein wenig langsamer angehen lassen mit meinem Hunger nach der großen weiten Welt...?!?

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