Sonntag, 14. November 2010

Lichterfest im Land des Load Shedding

Alles begann damit als mir eines schönen Morgens, die Sonne blinzelte bereits zwischen den Mauern hervor, auf dem Weg zum Einkaufen ein Hund über den Weg lief. Das ist noch recht gewöhnlich, die gehören hier zum Straßenbild wie die Autos und die Kühe. Meistens schlafen sie eingerollt an den unmöglichsten Stellen mitten auf einer vielbestiegenen Treppe oder direkt vor einem Tempeleingang. Irgendwie bewundere ich diese schmutzigen Köterchen auch ein bisschen wie sie da völlig seelenruhig schlummern und voller Gottvertrauen (bestimmt gibt es auch irgendeinen Hundeschutzgott oder besser noch einen, den wie Ganesh anstatt das Haupt eines Elefanten eben dasjenige eines schnittigen Rassehundes oder puscheligen Straßenpinschers krönt) den Straßenverkehr an sich vorbeibrausen und unzählige Füße über sich drüber steigen lassen. (Nachts sind sie dann ausgeschlafen genug, um „from-dusk-till-dawn“ zu bellen.) Es war aber der „Aufzug“, in dem der Hund an mir vorbeischwänzelte, der mich ratlos die Augen reiben ließ. Der kleine Hund hatte doch tatsächlich zwei orangene Blumenketten mit dicken Blüten um den Hals, die bei jedem seiner Schritte munter hin und her baumelten. Dazu prangte auf seiner felligen Stirn eine knallpinke Tikka (zur Wiederholung: das sind die schicken Punkte, die sich Hindus immer auf den Großraum Stirn pinseln). Ganz schön wild, denk ich mir, und vermute eine freche Kinderbande, die sich hinter der nächsten Ecke vor Lachen kugelt. Was mich allerdings tatsächlich hinter der nächsten Ecke erwartet sind zwei weitere so zugerichtet Hunde, die mit ihrer verwegenen „Verkleidung“ selbstbewusst an mir vorbeiwackeln. Es dämmert mir langsam, dass diese unheimlichen Vorkommnisse sicherlich wieder mit einem der unzähligen Feste zu haben, die hier in Nepal scheinbar jede zweite Woche feierlich (das heißt meistens laut) begangen werden. Und ganz zufällig ist auch kommendes Wochenende Tihar (die Indienliebhaber sind wohl eher mit dem Namen Diwali vertraut und das eine wie das andere wird gerne mit Lichterfest übersetzt). Sogleich frage ich meinen schlauen Vermieter Prim, der immer ein unermüdliches Lächeln im Gesicht trägt, was da vor sich geht. Sein Kopf wackelt unaufhörlich hin und her, wie man es hier oft sehen kann, als er mir erklärt, dass Tihar sich über mehrere Tage erstreckt und an jedem ein anderes Lebewesen verehrt wird (das nennt sich hier Puja und hat immer mit viel Farbe, Blütenblättern und Reis zu tun, die man lustig um sich wirft). Am ersten Tag sind die Krähen dran, denen man Leckerbissen aufs Dach legt, am zweiten die Hunde (das Ergebnis kennen wir ja nun!), danach die Kühe (da freue ich mich schon drauf!), dann Laxmi (die Göttin des Glücks und der Schönheit, aber in einem der ärmsten Länder der Welt verständlicherweise besonders wegen ihrer Eigenschaft als Spenderin von Reichtum verehrt), dann ist man selber dran (das Ergebnis male ich mir gerade in den buntesten Farben aus) und am letzten Tage Tihars sind die Geschwister fällig. Soviel dazu und das heißt für mich sobald Wochenende ist - da hätte dann Laxmis Stündlein geschlagen, wenn heute die Hunde dran sind - muss ich an dieser herrlich verrückten Veranstaltung unter allen Umständen irgendwie teilhaben!

Und schneller als ich es mir ausmalen kann, bin ich auch schon Mitten drin im Tihar-Wahnsinn und zwar im Herzen Bakthapurs (die drei Städte Kathmandu, Patan und Bakthapur liegen alle im selben Tal und gehen praktisch nahtlos ineinander über), in den liebevoll-fürsorglichen Armen einer nepalesischen Großfamilie. Und das kam so: Über drei Ecken kennen wir Thhe Napit, den 19-jährigen Computerfreak aus Bakthapur, der einen am liebsten stundenlang und gleichzeitig über Facebook, MSN und per SMS bespaßt, und es sich nicht ausreden lässt uns immer mit „Sir“ oder „M‘am“ anzusprechen. Da wir kurzfristig keine Unterkunft mehr in Bakthapur finden konnten (absolute Touristenhochsaison gerade!), dort aber „the-place-to-be“ für Tihar ist, hat Thhe sofort und spontan darauf bestanden, dass wir unbedingt bei ihm übernachten müssen, er zeige uns auch alles in der Stadt und überhaupt sei der Spaß schon vorprogrammiert! 

Thhes älterer Bruder Sriraj und Thhe

 So erklommen wir also zwei Tage später die engen, steilen Stufen des fünfstöckigen Hauses Napit. In jedem Stockwerk streckt jemand anderer den Kopf aus einer Tür, um die Ausländer zu begrüßen (die hier übrigens alle pauschal und unterschiedslos „americans“ genannt werden) und Thhe klärt uns dabei über die verästelten Verwandtschaftsverhältnisse jedes Einzelnen der 16 Hausbewohner auf. Ganz oben angekommen betreten wir das Zimmer von Thhes engerer Familie: Ein großer Raum mit Bett, improvisierter Küchenzeile, bestehend aus einem Tisch, auf dem zwei Gasplatten und ein Reiskocher stehen (die Mutter Sagani kann damit aber erstaunlich köstliche Gerichte und vor allem viel davon zaubern!) und viele Kissen auf dem Boden, auf denen wir Platz nehmen. Trotz sprachlicher Barrieren kommen wir recht schnell ins Gespräch über Gott und die Welt. (Man muss dazu sagen, dass die meisten Nepalis kleine Sprachgenies sind. Für die wenigsten ist Nepali nämlich die Muttersprache in einem Staat, der aus einer uneinheitlichen und äußert bunten ethnischen Mischung besteht. Beispielsweise spricht die Familie Napit daheim Newari, zur Verständigung im Lande dient allerdings Nepali, das deswegen auch jeder beherrscht. Dazu kommt Englisch, die zweite Amtssprache, das mindestens jeder ab unserer Generation in der Schule lernt. Und weil das Fernsehprogramm unübersetzt aus Indien kommt, versteht eigentlich auch jeder Hindi.) Wir verstehen uns auf eine elementare Art und Weise, weil wir ja doch irgendwie alle die gleichen Bedürfnisse und Träume haben und die Menschen überall Ähnliches bewegt. Gleichzeitig fühlen wir aber auch die Welten, die uns trotz allem manchmal trennen, die verschiedenen Kulturen, die unser Denken und Fühlen geformt haben. Und genau diese Mischung aus Neugier und Verstehen wollen einer anderen Welt, verzahnt mit einer grundlegenden Sympathie und einem unmittelbaren sich nah Fühlens, lassen mich diese Gespräche so lebendig in Erinnerung behalten!   

Aber natürlich ist auch jede Menge Programm geplant. Am selben Abend ist schließlich Laxmi-Puja und schon ziehen wir wieder los durch die Straßen von Bakthapur. Die engen Gassen, die sich durch die dicht an dicht geschmiegten alten Häuser mit den dunkel geschnitzten Fensterrahmen und kunstvoll verzierten Holztüren schlängeln, sind die perfekte Kulisse für die vielen Mandalas (psychedelisch runde Bilder), die mit buntem Pulver vor jeder Haustür aufgestreut wurden. Und weil sich an diesem Abend ja alles um Laxmi dreht und man diese nicht nur verehren, sondern jeder die Göttin, der die Goldstücke nur so aus den Handflächen rieseln,  insgeheim gerne zu sich nach Hause locken würde, damit sie dort ihren Geldsegen herunter regnen lässt, wurden vor vielen Häusern auch kleine Fußspuren (geschätzte Größe 32 mit nur vier Zehen – so sehen also göttliche Füße aus!) aufgezeichnet, die direkt ins Innere des Hauses führen. Und damit Laxmi das auch nicht zufällig übersieht, schwimmt die ganze Stadt in einem Lichtermeer. Unzählige Lichterketten baumeln an den Häuserwänden und eine ganze Flut von Butterkerzen erleuchtet die Stadt. Ganz ehrlich, so hell und festlich habe ich Nepal bei Nacht noch nie gesehen!


Am nächsten Tage rennen wir in jeden Winkel Bakthapurs, denn Thhe ist stolz auf seine Heimatstadt und hat einen straffen Plan vorbereitet. Bereits um 5.45 Uhr, die Dämmerung war noch kaum hereingebrochen, reißt er die Tür unseres kleinen Kämmerchens auf – eigentlich sein Zimmer, das er uns großzügig überlassen hat – und ruft aufgeregt in unseren Schlummer hinein: „Good morning, Sir! You have to wake up now; we have to do the first morning toilet. We cannot wait – there will be a big queue!” (Klar, bei einer einzigen Toilette für 16 Familienmitglieder.) Und so steil wie der Tag startet, so geht er auch weiter: Wir bewundern den Marktplatz, auf dem zwischen jahrhundertealten Tempeln, die Bauern ihr Gemüse und auf dem Kopfsteinpflaster feilbieten. Die Metzger nehmen das Geschlachtete direkt auf der Straße auseinander, daneben wird Stroh gedroschen und die Ladenbesitzer preisen lautstark ihren Joghurt an. Schon geht es weiter, hinauf auf einen Hügel, zum Tempel des Ganesh, der von einem leicht verwirrten Landstreicher bewacht wird, der uns vom Tiger im Wald erzählt und seine Hose lieber verkehrt herum trägt. Wieder hinunter auf den Durbar Square, wo wir Pani Puri (kugelrunde, hohle Waffeln, in die ein Loch hineingedrückt wird, um sie mit einer Masse aus Kartoffeln, Kichererbsen und Zwiebeln zu füllen, um dann alles in gewürztem Wasser zu ertränken) und Eiscreme genießen. Noch ein Abstecher zum trüben, viereckig eingemauerten Stadttümpel zum Fische füttern, und schon geht es wieder zurück zum Hause Napit, wo bereits die Ma Puja vorbereitet wird. Heute Abend werden wir also unserem „körperlichen Selbst“ huldigen – schön, das es uns gibt! Und das funktioniert folgendermaßen: Thhes Mutter hat bereits viele bunte Mandalas auf dem Küchenboden aufgemalt, in dessen Zentrum jeweils ein Häuflein Obst gespickt mit Räucherstäbchen und Kerzen prangt. Jeder kniet vor seinem Eigenen und nun streut Sajani jedem reihum eimerweise Blütenblätter über den Kopf. Danach wird jedem Joghurt an die Schläfe geklekst, denn das erfrische das Gehirn, und eine große, runde, dreidimensionale Tikka auf den Haaransatz gepflanzt. Zum Schluss werden nochmal Blütenblätter und Reis durchs ganze Zimmer geschmissen (und ich kann nicht umhin mir die bemitleidenswerte Kreatur vorzustellen, die den Verhau nachher wieder aufräumen muss) und dann sind alle glücklich. Wir essen vor uns hin - Obst, getrockneten Fisch, eingelegte Eier, Chiura (trockene, ausgeklopfte Reisflocken), verschiedene Currys – lassen uns von den Räucherstäbchen und dem Raksi (nepalesischer Reiswein) benebeln und, siehe da, die Puja wirkt: wir freuen uns einfach nur daran, das wir sind und das auch noch zusammen mit so warmen, offenen, gastfreundlichen Menschen… Manchmal macht das Leben wohl einfach Spaß! 


Später, als wir wieder zu Hause in Kathmandu angekommen sind, glücklich und geschafft auf unserem Bett sitzen -  die vielen Eindrücke wirbeln noch wild in unseren Köpfen herum - geht das Licht plötzlich aus. Load Shedding! Ist ja auch kein Wunder, den Strom habe die Nepalis die letzten Tage beim Lichterfest verheizt wie sonst nur den Müll an den Straßenecken. Die Leitungen sind bestimmt ganz trocken und ausgelutscht und die Kraftwerke nur noch voller Echo. „War ja zu erwarten“, sagt mein Freund, während er nach Kerzen und Feuerzeug tastet. Und dann war wieder stille Dunkelheit, im Lande des Candle Light Dinner…


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