Donnerstag, 21. Oktober 2010

Buddhismus vs. Hinduismus


Nepal ist das einzige Land weltweit, das sich vor seiner Demokratisierung (das Wort sollte hier immer  noch nur mit einer gesunden kritischen Distanz über die Lippen gebracht werden) im Jahre 2006 „Hinduistisches Königreich“ nannte. Das Staatoberhaupt, der König, wurde gleichzeitig als Inkarnation des Gottes Vishnu verehrt. Folglich gehören 80% der Bevölkerung dem Hinduismus, der einstigen Staatsreligion, an. Doch auch der Buddhismus hat geschichtlich betrachtet eine große Rolle gespielt, auch wenn sich inzwischen nur noch 15% der Nepalis zu ihm bekennen.

Vielleicht sind das aber auch alles nur Zahlendrehereien, denn wo hier der Buddhismus anfängt und der Hinduismus aufhört ist, glaube ich, nicht nur mir schleierhaft! Beobachtet man doch Buddhisten wie Hinduisten gelegentlich zum selben kleinen Stadttempel pilgern, um die dort hausende Gottheit zwar mit einem anderen Namen anzurufen, ihr aber dasselbe Bananenblattschiffchen mit Reis, Blumen und Gewürzen als kleine Opfergabe bereitzustellen (die dann später von einem streunenden Hund oder einer nicht minder streunenden Kuh wieder in den Kreislauf des Lebens aufgenommen wird). Auch die zentrale Schutzpatronin der Stadt Kathmandu, die Kindergöttin Kumari, ist fest zwischen den Religionen verankert: Als Kleinkind wird ein passendes Mädchen herbeiorakelt, das zwingend aus einer buddhistischen Familie stammen muss, und aus allen Bewerberinnen heraushoroskopiert. Das Eingangsritual, in dem sich die hinduistische Götting Durga sodann in das Menschenkind inkarniert, ist paritätisch zwischen den beiden Religionen aufgeteilt, genauso wie das Fest Indra Jatra, an dem die Kumari sich das einzige Mal im Jahr der Stadtbevölkerung zeigt und diese inklusive König (so lange dieser vorhanden war) segnet. (Die Kumari waltet so lange ihres Amtes bis sie das erste Mal „blutet“. Zu diesem Zeitpunkt schlüpft die Göttin Durga einfach wieder aus ihr heraus und die Ex-Kumari muss dann zurück in ihr ursprünglich profanes Dasein. Heiraten wird sie keiner wollen, denn das bringe Unglück! Ich nehmen an vor allem der Geldbeutel und die Nerven eines potentiellen Zukünftigen würden großen Schaden davontragen, schließlich wurde die kleine Göttin ihre ganze Kindheit über verwöhnt und verzogen, durfte sich ausschließlich an Fleisch und anderen Delikatessen laben und keiner widersprach so schnell der göttlichen Hoheit! Die Kumari scheint trotzdem das Idol und Vorbild jedes keinen nepalesischen Mädchens zu sein und eine Auserwählung der heimlich gehegte Wunsch vieler Eltern. Und so begegnen einem nicht selten Kleinkinder die Opfer von brachialen Kajalmassakern geworden sind oder aussehen als hätten sie ihr Fußbad im brodelnden Suppentopf genommen, denn die echte Kumari ist an ordentlich dunkel geschminkten Augen und Henna gefärbten Füssen zu erkennen.) Und das sind nur die einfacheren Beispiele im lustigen Religionen-Lassi Nepals!

Nun gut, der Buddhismus und seine verschiedenen Ausformungen sind mir nun durch diverse Asienreisen und Chinesen-Kuscheln nicht mehr gänzlich unbekannt: Da wäre der, ein wenig mit Ahnenkult und Konfuziussprüchen vermengte, chinesische Volksbuddhismus, der golden-ätherisch birmanische Betel-Buddhismus, der lämpchenblinkende Thaibuddhismus und der tibetische gebetsfahenenflatternde Bergbuddhismus. Irgendwie immer und überall in abstrakter Einfachheit klar in der Aussage und anmutig in der Erscheinung. Eine Wohlfühlreligion mit spirituellen Entspannungsstätten. Einfach und tiefgründig – sympathisch auf den ersten Blick!

Mit dem Hinduismus bin ich hier jedoch das erste Mal live und ohne doppelten Boden in Berührung gekommen und meine Verwirrung ist ehrlich gesagt überwältigend! Nicht nur weil es mehr Götter zu geben scheint als ich Haare auf dem Kopf habe und ich ständig Inkarnationen, Manifestationen und inzwischen auch die Realität durcheinander schmeiße. Nicht nur weil ich nicht verstehe, warum die Tikka (der berühmte Punkt auf der Stirn) mal gelb, mal rot, mal pulvrig, mal klumpig, mal auf dem Scheitel, mal zwischen den Augenbrauen, mal als filigranes Pünktchen und mal als Mordsfrontaltikka daherkommt. Sondern vor allem, weil ich einfach nicht weiß, was ich von dem Ganzen überhaupt halten soll. Liebe auf den ersten Blick ist was anderes – ich würde es eher so ausdrücken: es arbeitet in mir!

Vielleicht habe ich mir auch nicht die einfachste Begegnung mit dem Hinduismus ausgesucht, indem ich gleich am ersten Wochenende eine seiner wichtigsten Tempelstätten in Nepal den Pashupathinath inklusive heiligem Fluss Bagmati (da entspricht der Hinduismus völlig dem Christentum: was heilig gesprochen wird, muss vorher tot sein, und, das möchte ich noch hinzufügen, diese Tatsache durch entsprechenden Geruch beweisen) besichtigt habe. Denn eine Besonderheit im Pashupathinath ist, dass dort die „letzten Riten“ durchgeführt werden, aber nicht im Rahmen einer geschlossenen Gesellschaft, sondern mitten im Gewühl der Tempelgemeinde! Die in gelbe Tücher gehüllten Leichen werden auf Bambusbahren durch die Menschenmassen zum Fluss getragen und dort mit dem heiligen Wasser des Bagmati gewaschen bevor sie auf eine der Verbrennungsstätten  (kleine Scheiterhaufen, die mit ordentlich Grillanzünder startklar gemacht werden) am Flussufer gebettet werden. Die Familie vollzieht die letzten Rituale, häuft Blumenketten auf den Leichnam, küsst ihm die Füße und entzündet bündelweise Räucherstäbchen. Dann wir Reisig über den Verstorbenen gehäuft und angezündet. Zu meiner eigenen Überraschung war ich erst einmal beeindruckt von der Offenheit und Selbstverständlichkeit, mit der man hier mit dem Tod umgeht. Pragmatismus in der Alltäglichkeit seines Auftretens gemischt mit Intensität in der Symbolsprache der Bestattungsrituale. Bei uns im Westen dagegen soll der Tod möglichst im Verborgenen bleiben. Eine Privatangelegenheit. Die Berührungsängste mit diesem großen Unbekannten sind dadurch enorm!  Hier dagegen spielen die Kinder direkt neben den Scheiterhaufen im Fluss und versuchen geschäftstüchtig mit an Schnüren gebundenen Magneten die Geldstücke, die als Glückbringer in den Bagmati geworfen wurden, wieder herauszufischen. Gleichzeitig verknotete sich aber auch, als ich die Leiche so vor sich hin brennen sah, aus mir unerklärlichen Gründen irgendetwas sehr  schwer und unangenehm in meiner Brust. Und dieses seltsame Gefühl stellt sich nun jedesmal wieder ein, wenn ich Räucherstäbchen rieche, die dieselbe Geruchsnote haben wie diejenigen bei der Feuerbestattung im Pashupatinath!

Nun gut, um nun noch einmal auf den Vergleich der beiden Weltreligionen zurückzukommen, zeigt sich der Buddhismus hier in Nepal mit sauberen Tempelplanlagen und einem Talent zur subtilen, kundenfreundlichen Vermarktung. Der Hinduismus hingegen wirkt spontan eher wenig sympathisch. Trotz horender Eintrittspreise (natürlich nur für Touristen und die erkennt man hier spätestens an den Trekkingschuhen) sind die Tempel recht vernachlässigt und zugemüllt wie jede andere profane Straßenecke. Ein wenig im Chaos versunken laden sie nicht wirklich zu Besinnlichkeit ein!

Dieser erste verwirrte Eindruck muss ja aber nicht der letzte sein, dacht ich mir, schließlich kann der Hinduismus an sich ja nichts für das Chaos eines Dritte Welt Landes. Außerdem muss da doch was dran sein, wenn sogar bei uns im Englischen Garten die Hippies Hari Krishna singend um die Bäume taumeln und sich nicht allzu wenige Ex-Yuppie-Aussteiger-Yogis Mantra summend die Beine hinter die Ohren biegen und ayurvedisch lächelnd einfach nur shanti sind. So bin ich einfach mal stracks in den nächsten Buchladen gestiefelt, um mir in realistischer Selbsteinschätzung „The complete idiot’s guide to Hinduism“ zu kaufen und meinen Horizont gleich mal ein wenig zu erweitern…

Aber, wie gesagt, vielleicht sind all diese allzu verkopften Definitionen, Abgrenzungen und Abwägungen gar nicht so wichtig, wenn es um die Spiritualität geht. Vielleicht sollte ich es einfach halten wie ein scheinbar recht weiser Mann, der mir eines schönen Nachmittages in der Nähe des Ratna Parkes begegnet ist, oder besser: ich bin auf ihn gestoßen! Auf einer rußig begrünten Verkehrsinsel mitten im tosenden Feierabendgehupe stand er, der versmogten Welt unbeirrt ein breites Lächeln entgegenhalten, und hielt wacker ein Schild in die Höhe. Fasziniert von diesem ungewöhnlichen Anblick versuchte ich durch die vorbeirauschenden Autos hindurch das Geschriebene zu entziffern. In Ermangelung ausreichender Nepali Kenntnisse beinahe das Handtuch werfend, bemerkte der Weise meine verzweifelten Entzifferungsversuche und drehte sein Schild mit einem Extralächeln einfach um. In dicken Lettern stand nun auch für mich verständlich geschrieben: Follow Your Religion. Love Everbody! Und wo er wohl Recht hat, da hat er wohl Recht…


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