Montag, 7. Dezember 2009

„Scheitern bei Dorothy Parker und Zhang Ailing“


Beinahe wäre ich hier komplett und spurlos abgetaucht in meiner Magisterarbeit. Aber ich will nicht klagen, das läuft alles wunderbar. Ich lese, verstehe meistens auch, selbst wenn Zhang Ailing mir das nicht allzu einfach macht (zur Erinnerung an alle, für die chinesische Namen immer nur wie eine Türklingel klingen - das ist die werte Autorin, die in meiner Magisterarbeit verewigt wird). Gelegentlich scheint sie recht wild auf dem Wortschatz-Flohmarkt gestöbert zu haben, um schon lange tot geglaubte Antiquitäten aufzuspüren und voller Finderstolz sogleich in ihre Texte hinein zu dekorieren. Und ich schreibe auch schon fleißig vor mich hin. Aber trotzdem gerät man immer so leicht in diese verzwickte Alltagsroutine hinein, die zwar einerseits die Konzentration voll und ganz auf das eine zentrale Problem lenkt (Scheitern!) und die Effektivität steigert (Zerstörung? Oder doch lieber Selbstzerstörung?). Aber andererseits packt sie den Kopf in einen Nebelhelm ein, mit dem man dann immer blinder durch die Welt stolpert. Man kommt einfach nicht mehr auf den Gedanken, dass man den ja auch mal absetzten könnte, um mal wieder ein bisschen Frischluft durch die Gehirnwindungen kreiseln zu lassen (nehmt das jetzt nicht wörtlich, ich bin schließlich noch immer in Peking: fast 16 Mio. Einwohner, davon ca. 940 Stück/km² und eine rasant steigende Autoanzahl) oder mal eine andere Aussicht zu genießen (zum Beispiel gleich bei mir um die Ecke auf der Brücke über der dritten Ringstraße).

Aber genau diese Wolke um mein Hirn herum war auch an ihrem eigenen Wegeblasenwerden Schuld (also doch Selbstzerstörung!), indem sie mich beim Verlassen meines Zimmers auf dem Weg zu den Mittagsnudeln zwar ans Absperren meiner Tür durch Knopfdruck von Innen, nicht aber ans Mitnehmen des entsprechenden Schlüssels erinnert hatte. Das hatte ich allerdings bereits nach 3 Metern realisiert, als ich nämlich mit Nichts in der Hand die Wohnungstür aufsperren wollte. Während ich immer ungläubiger meine sämtlichen Taschen abklopfte, und immer verzweifelter meine Stirn in ganz unschöne Furchen legte, wurde das Grinsen auf meinen in der Küche schnibbelnden und brutzelnden Mitbewohnern immer breiter. „Verdammt!“, (hab' ich mal lieber auf deutsch gesagt) und weg war der Kopfnebel, vor lauter Panik verdampft! Meine eine Mitbewohnerin (Bailu - die "weiße Jade") meinte, dass das jetzt kein Problem sei, weil irgendwo in ihrem Zimmer müsse sie noch einen Schlüssel von dem Mitbewohner haben, der vor mir in meinem Narrenkäfig gehaust hat, und begann systematisch ihre Schubladen auszuleeren (nebenbei bemerkt: in ihrem köstlichen Daheim-Outfit, bestehend aus rosa Schalfanzug und Wintermantel drüber! Zugegeben laufe ich hier manchmal nicht viel besser durch die Gegend, aber solange es warm hält…). Nachdem der Inhalt sämtlicher Schubladen auf dem Boden verteilt war, indem sich nur ein weiterer Schlüssel ihrer eigenen Zimmertür befand, habe ich erstmal wieder meine Mütze abgenommen. Als der "Kartentrick", den meine andere Mitbewohnerin (Xiaoxia - die "rosige Morgendämmerung") sich in Filmen abgeschaut und im Uniwohnheim immer erfolgreich angewendet hatte, nur in verbogenen "Esstempel"- und U-Bahn-Karten resultierte, die Tür sich aber noch immer kein Stück rührte, habe ich meine Handschuhe abgestreift. Und als wir dann auf den Schlüsseldienst warteten, den mein Mitbewohner (Yu – schlicht, einfach und voller Bescheidenheit "Universum") gerufen hatte, wurde auch meine Jacke auf der Waschmaschine geparkt. 

Leckere Schweinefüßchen.

Naja, wenigsten eine gute Gelegenheit mich mal wieder mit meinen Mitbewohner auszutauschen. Beispielsweise darüber wie oft ich in die Kirche gehe (bei dieser Gelegenheit habe ich die Vokabel "konsequent" in ihrer Verneinung gelernt), ob Chinesen eine Religion haben, welche drei Dinge Zhang Ailing am meisten gehasst hat und dass man von scharfem Essen zu viel „Feuer“ bekommt im Körper (auf gut deutsch: Pickel! Die größte Angst meiner Mitbewohnerin. Eine rosige Morgendämmerung mit Pickeln wäre aber auch in der Tat unschön!). Ganz nebenbei verursacht dieses Feuer offensichtlich auch noch so nebensächliche Kinkerlitzenchen wie Hitzewallungen, Verdauungsstörungen, Austrocknung der Atemwege, Husten und was man sich sonst noch an Höllenqualen vorstellen kann! Das weiß ich, sag' ich, aber macht nix, weil mir ist eh' immer kalt, da kann so ein bisschen Feuer gar nicht schaden, und ich kann ja nicht jeden Tag Schweinefüße essen (Die sind nämlich, da sind sich alle Chinesen einig, gut für die Haut! Heißer Tipp also an alle, die bei ihrem Teint noch immer das „flawless“ vermissen).
Nach einem halben Stündchen steht dann endlich der Mann vom Schlüsseldienst vor der Tür: Ich öffne ihm und frage, warum er denn überhaupt klopfe, er könne sich die Tür doch auch selber aufmachen? Aber mein Sparwitz lässt ihn total kalt, den hat er wohl nicht das erste Mal gehört! Er hat sich dann zielstrebig vor der verschlossenen Tür postiert, ohne zu zögern den richtigen Dietrich aus seinem Bund gegriffen und damit ein wenig lustlos im Schloss meiner Zimmertür herumgerührt. Das hat keine 10 Sekunden gedauert und offen war sie. Da ist uns allen erstmal die Kinnlade runtergefallen, denn dass unsere Türen so unproblematisch zu knacken sind, fanden wir weniger lustig. Dafür hat er umso mehr gelacht!

Damit so was nicht wieder vorkommt, habe ich den Ersatzschlüssel, den bisher ich unvorsichtigerweise am normalen Schlüsselbund getragen hatte, nun in der Küche auf dem Boiler verstaut. Dort klebt er nun in einer zähen Fettschicht und wird vielleicht in vielen Jahren von meinem Nach-Nach-Nachfolger-Mitbewohner in einem verzweifelten Augenblick durch Zufall wiedergefunden...


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