Montag, 10. Januar 2011

Endlich in Asien!

Jetzt bin ich zwar schon ein wenig rumgekommen in Asien, habe aber nie wirklich die typischen Klischees bestätigt gefunden, die beim Gedanken an den fernen Osten so in europäischen Köpfen herumspuken. Ich hatte diese deshalb bereits als völlig sinnfrei, unnütz und nicht existent abgehakt. Dann komme ich jedoch nach Seoul und da hüpfen die Klischees bunt und fröhlich vor meinen Augen herum wie unglaubliche Erscheinungen der dritten Art. Naja, zumindest so manches davon bewahrheitet sich hier auf wundersame Weise:


Klischee Nr.1: Asiaten können kein „R“ aussprechen

Das Problem ist nicht, dass es im Koreanischen kein „R“ gäbe. Aber das „R“ ist hier kein so unflexibler Laut wie in den meisten anderen Sprachen, die ich kenne. Hier changiert ein „R“ vom feurig- spanischen Flamenco-„R“ über ein angerolltes-angeschubstes „N“ bis hin zu einem eingelullten „L“. So schreibt mein Koreanisch Lehrbuch: „ㄹ“  kann je nach Wort als r, l oder n ausgesprochen werden - na super, wie eindeutig! Und so passiert es dann auch, dass diese r-l-n-Ähnlichkeit auch in Fremdsprachen ein wenig unkontrolliert zu Tage tritt, weil irgendwie ist alles dasselbe im Koreanischen, auch wenn andere Sprachen da feinere Unterschiede machen. 

Als ich mich neulich einer englischen Führung durch die Geheimen Gärten des Changdeok Palastes anschloss, konnte ich unserer koreanischen Führerin bestens folgen, die uns in breitem Amerikanisch detailliert Hintergründe und Anekdoten über das Leben im Palast schilderte. Nur manchmal ist es dann doch bei aller Professionalität passiert, was ich noch nie zuvor in echt, sondern nur in der McDonalds Werbung für die Asia Wochen gehört habe. Das lustige „L“, das sie anstelle eines „R“ lieblich lallte. Und so kam es dann auch, dass sie den Tiger, der früher – lang, lang ist’s her – in den geheimen Gärten auf der Jagd nach einem königlichen Leckerbissen herum gestrolcht ist, als  „vely scaly“ empfand. Ich fand’s eher lustig als erschreckend, aber das lag weniger am Tiger. 

Es kann einem aber auch passieren, dass sich die Koreaner ein wenig vergreifen am „R“ und es überbenutzen. Meine Vermieterin (Ich mache hier einen sogenannten Homestay bei einer älteren koreanischen Dame. Sie ist viel zu neugierig: „haben-sie-schon-gegessen-was-suchen-sie-im-Kühlschrank-und-warum-nehmen-sie-keine-tüte-zum-einkaufen-mit“ frägt sie mir den Atem nehmend in einem Atemzug. Außerdem ist sie  extrem sparsam – „zwei-scheiben-toast-zum-frühstück-reichen-aber-und-bohnenkaffee-gibt’-nicht-immer“ und überaus stolz auf sich, ihre Kinder und ihr Land. Alles in allem ist sie also vor allem anstrengend!) stellt mich bei all ihren Verwandten und Bekannten, die vorbeikommen und sich von ihr akkupunktieren oder einfach vor dem Fernseher parken lassen, voller Stolz auf ihre gute deutsche Aussprache, als „Frau Raura!“ vor. Ihr Deutsch ist tatsächlich wahnsinnig gut, nur mit meinem Namen steht sie offensichtlich auf Kriegsfuß. Bei dessen Klang muss ich nun immer an winterspröde Haut denken, bei der beim Überstreifen der Handschuhe ganz viele dünne Wollfäden und Fusseln hängen bleiben. Und wenn ihr kleiner Enkel da ist, dann wiederholt sie meinen verunstalteten Namen besonders oft, damit ihn sich der kleine Hosenscheißer auch merken kann: „Raura, Rrraura, RRRRRRRaurrrrra!“ knurrt es dann durch die Wohnung und mir jagt ein kalter Schauer über den Rücken wie Fingernägel auf der Tafel. 

Das „R“ ist also ein Problem in Korea. Das können wir durchaus mal so festhalten!





Klischee Nr.2: Asiaten sind fleißig und arbeitsam

Das war mir in China schon gedämmert, dass wir Europäer trotz Klagen über Überstunden oder Abgabetermine für die Hausarbeiten in einem Arbeits- und Freizeitparadies leben. Hier fängt der Kampf schon bei den ganz Kleinen an. Sobald sie in die Schule kommen, ist Schluss mit lustig, denn bereits in der ersten Klasse beginnt das Rennen um einen Platz an einer der begehrten Elite Universitäten im Land. Wenn man es einmal auf einer dieser Unis geschafft hat, hat man praktisch ausgesorgt. Die guten Jobs und schönen Frauen oder erfolgreichen Männer liegen einem dann zu Füßen. Deshalb knechten Eltern ihre Kinder ab Schuleintritt mit zusätzlichem Nachhilfeunterricht oder einer Wochenendschule zum Erlenen einer zusätzlichen Fremdsprache. Wenn deutsche Kinder nach den Mainzelmännchen noch nicht ins Bett wollen, dann dürfen das die kleinen Koreaner einfach gar nicht, denn dann sind nach Schule und Zusatzunterricht die Hausaufgaben noch gar nicht bewältigt. Das Knechten geht weiter bis zur umfangreichen Aufnahmeprüfung auf die Uni. Wenn deutsche Teenager sich also zum ersten Mal ins Koma saufen und am nächsten Morgen nicht mehr wissen, von wem die dunkelroten Saugspuren am eigenen Hals stammen, legen die koreanischen Jugendlichen noch eine zusätzliche Nachtschicht ein, brav daheim am Schreibtisch vor den Lehrbüchern. Wen es bis dahin nicht zerbröselt hat, der kann nach der bestandenen Aufnahmeprüfung ordentlich die Sau raus lassen, weil das Studium an sich ist dann im Vergleich zu den Strapazen davor nur noch Urlaub. Im Job sieht es dann schon wieder anders aus, der geht nämlich über alles. Die Arbeitsmoral ist jederzeit enorm hoch und das wird auch so erwartet. Wenn man einen Koreaner um 10 Uhr abends anruft, erwischt man ihn zu 50% noch in der Arbeit. Und während das Wochenende den Deutschen heilig ist, ist es den Koreaner das zusätzliche Geschäft, das man noch abschließen könnte, egal an welchem Tag. Dieser Einstellung verdanken es die Koreaner sicherlich, dass sie ihr Land nach jahrelangem Krieg und politischen Unruhen in kürzester Zeit ganz nach oben gebracht haben. 

Aber auch im Einzelnen ist es absolut bewundernswert, dass ein Koreaner, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, das auch durchzieht – koste es, was es wolle. Wir haben einen Schüler im Goethe Institut, der möchte nächstes Jahr zum Studium nach Deutschland gehen. Deshalb kommt er sobald die Bibliothek um 9 Uhr aufsperrt, klemmt sich hinter seine Deutsch-Lehrbücher, lediglich unterbrochen vom Sprachkurs und der Konversationsrunde, und bleibt bis die Bibliothek um 7 wieder schließt. Dass sein Deutsch grandios ist und er danach noch nicht nach Hause geht versteht sich von selbst. 

Auch die alte Weisheit aus dem Osten „Albeite ohne Mullen und Knullen!“ findet sich also hier bewahrheitet! 





Klischee Nr.3: Asiaten sind überaus höflich und freundlich

Ooohhhhh ja! Und das Oohhhh ist fester Bestandteil des Freundlichkeitsprogrammes. Denn obwohl die Begrüßung eigentlich „Anyeong Haseyo“, die Verabschiedung „Anyeong Gaseyo“ heißt, wird praktisch der ganze erste Teil verschluckt bzw. zu einer einzigen Silbe zusammengeschoben, die nur Auftakt eines extrem in die Länge gezogenen Auslauts Ooooohhhh ist. Dabei verbeugt man sich dann auch noch wild und besser mehrfach. Begrüßt wird man überall von Verkäufern, Bedienungen, ja sogar vom Busfahrer. Das ist echt beeindruckend und ich konnte es anfangs nicht für möglich halten, dass die das ernst meinen. Aber das tun sie und sind auch sonst trotz aller Sprachbarrieren – und die sind hier hoch –  äußerst bemüht einem mit allen Mitteln weiterzuhelfen. Wenn ich also mal wieder das Ziel meiner Suche nicht finden oder diverse Anweisungen, Speisekarten oder Produktbeschreibungen nicht lesen kann, dann frage ich gezwungenermaßen auf Englisch den nächstbesten, der mir zwischen die Finger kommt. 

Die Antwort funktioniert dann entweder so: Meine befragten Opfer kratzen verzweifelt ihre letzten Brocke Englisch zusammen, denen sie sich noch entsinnen können (trotz Fleiß und Lerneifer ist das Englisch des Durchschnittskoreaners unterentwickelt bis gar nicht vorhanden, was wohl am recht veralteten konfuzianischen Lernsystem des sturen auswendig Lernens besteht, welches einem bei einer Sprache, spätestens wenn man sie sprechen soll, das Genick bricht) und führen schlimmstenfalls einen Bienentanz zur Wegbeschreibung oder eine Scharade zur Begriffserklärung auf. So stand ich einmal in einem Drogeriemarkt vor den Wimperntuschen und konnte mich nicht entscheiden, was auch an den vielen Zeichen lag, die mir angestrengt vor den Augen verschwammen und mir doch nichts sagen konnten. Eine Verkäuferin erbarmte sich meiner und versuchte mir den Unterschied der drei verschiedenen Mascara Typen zu erklären: bei der ersten sagte sie indem sie die Augen weit aufriss und das Wort in die Länge zog: „long – loooooong!!!“, die zweite Wimperntusche begleitete sie mit einer Geste, die wirkte als würde sie von Unterwasser wieder auftauchen, und rief schlicht: „up!“. Bei der dritten meinte sie „manymanymany!“ und ihre Finger rieselten durch die Luft wie fallende Sternschnuppen. Was will man mehr, die Erklärung war doch überaus hilfreich und meine Wimpern sind nun endlich up!  

Die zweite Möglichkeit sieht so aus. Der gefragte Koreaner versteht irgendwie die Frage auf Englisch, kriegt es aber einfach nicht hin in die Fremdsprachen-Gehirnrille rüberzuschalten. Doch da ja jeder der armen Ausländerin helfen möchte, erklären sie einem dann ausführlichst die Lösung des Problems auf Koreanisch. Das hilft einem durchaus bei einer gestenreichen Wegbeschreibung, nicht aber bei komplexeren Fragestellungen. 

Und so können wir uns selten so richtig gut und erschöpfend verständlich machen, die Koreaner und ich, aber am Schluss ziehen wir dann alle die Augenbrauen nach oben, sagen  OOooohhhh, verbeugen uns mehrfach und dann ist eigentlich auch alles wieder in bester Ordnung...



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