Donnerstag, 23. Dezember 2010

Schweinebraten in Kathmandu, Teil 2

Da es in den Herzen der Deutschen weihnachtet, egal auf welchem Fleckchen Erde sie sich gerade befinden, findet heute in der Mittagspause ein kleines adventliches Beisammensein in der Botschafterresidenz statt. Wer jetzt an Kerzen und knisterndes Kaminfeuer denkt, der ist mit Sicherheit selbst in Weihnachtsstimmung, liegt aber in diesem Falle falsch. Mitten im palmigen Botschaftergarten (die Kakadus muss ich ja nicht mehr erwähnen, wir kennen das Ambiente ja schon aus einem anderen Bericht), in den die Mittagssonne erbarmungslos brennt (um jetzt keinen falschen Eindruck zu erwecken: ich friere hier ungemein! Denn nur weil die Sonne sich mittags regelmäßig blicken lässt im Versuch einen mit der vollen Kraft ihrer Strahlen wieder mit dem Wetter zu versöhnen, kann diese Tatsche einen doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass man bei knapp über 0°C ohne Heizung - und was zum Weihnachtsmann sind naht- und ritzenlos schließende Fenster? -  morgens im Bett liegend seinen Atem sieht und die langen Unterhosen beim Duschen am liebsten anbehalten würde), steht wacker ein bunt dekorierter Plastikweihnachtsbaum. Die Tische sind mit Weihnachtssternen (die wuchern hier übrigens wild als gigantische Bäume an jeder Straßenecke!) und Plätzchentellern gedeckt, und mit dem selbstgebrauten Kinderpunsch sollen wir uns Mut antrinken fürs gemeinsame Weihnachtslieder singen. Ich lasse mich in eines der Gartensofas fallen, und einen Lebkuchen zärtlich auf der Zunge zergehen - mit dem Genuss einer solchen Rarität hätte ich tatsächlich nicht mehr gerechnet! Die Sonne macht mich dösig und eingehüllt in das nepalesisch-deutsch-englische Geschnatter meiner versammelten Arbeitskollegen schweifen meine Gedanken langsam ab. Schlaglichtartig kitzeln Erinnerungsfetzten aus den letzten drei Monaten das Innere meiner Augenlider. All die spannenden Einblicke, herausfordernden Aufgaben und amüsanten Momente treiben nochmal hoch.

Wie war ich doch aufgekratzt am ersten Tag, der gleich damit begann, dass ich ganz alleine auf ein UN Contact Group Meeting im Ministry of Peace and Reconstruction geschickt wurde. Gut vorbereitet (das bedeutet vor allem Akten wälzen und Abkürzungen googlen, oder wer kann mir auf Anhieb folgenden Statz übersetzten: „Das UNRCHCO mit der SCWGCAAC in Zusammenarbeit mit dem MoWCSW richtet ihre Aufmerksamkeit besonders auf CAFAAG im Hinblick auf die MDGs“?) schwang ich mich in den Dienstwagen, ließ mich vom immer streng dreinblickenden Chauffeur zu den Ministerien schaukeln und wartete dort gespannt wie ein Flitzebogen auf den Beginn der Veranstaltung. Die Botschafter verschiedener Länder, diverse UN Abgesandte und jede Menge nepalesische Politik-VIPs nahmen an den mit Namensschildern und Mikrophonen bestückten Konferenztischen Platz. Und dann ging es endlich los. Erst ging ich davon aus, dass nur die Begrüßungsworte die Veranstaltung feierlich in der Landessprache eröffneten. Dann hoffte ich beim ersten Beitrag inständig, dass er noch übersetzt werden würde, für alle ausländischen Teilnehmer. Nach 20 Minuten war mir dann klar, dass das Meeting komplett auf Nepali abgehalten werden würde. „Damn it!“, dachte ich und versuchte die restlichen gefühlten 5h mit naiver Blümchenmalerei  auf meinem Notizblock rumzubekommen. „Shit happens!“, dachte sich wohl auch ein norwegischer Diplomat, der die Zeit nutzte und unauffällig ein Nickerchen hielt, bis er frisch ausgeruht selbst an der Reihe war einen Redebeitrag zu halten - an diesem Tag der einzige auf englisch!
Einen Tag später sollte ich dann bereits eine Rede verfassen, die die Botschafterin auf einer Gedenkfeier halten sollte. Beim Landeanflug auf den Flughafen Lukla, der aufgrund der widrigen geographischen Bedingungen und des unberechenbaren Bergwetters als einer der gefährlichsten weltweit gilt, ist vor zwei Jahren eine Maschine mit unter anderem 12 deutschen Touristen an Bord abgestürzt. Niemand überlebte! Das stöbern in den Akten berührte mich sehr. Das Verfassen der Rede war ein äußerst heikle Angelegenheit - oder wer hat schon mal offiziell seiner Trauer für einige Landsleute Ausdruck verliehen?
Die Einblicke, die man bei der Arbeit in der Botschaft in Gesellschaft und Landespolitik erhielt, waren gewaltig. Leider fast durchweg negativ. Kein Wunder bei einem der ärmsten Länder weltweit mit der höchsten Korruption in Asien nur knapp gefolgt von Afghanistan, das Monarchie und Bürgerkrieg kaum hinter sich hat. Die politische Einigung geht nur äußert schleppend voran, die Demokratisierung steckt in den Kinderschuhen (wo auch sonst, wenn sich eine der stärksten politischen Kräfte „Maoisten“ schreit und ohne einen Alternativvorschlag immer nur dagegen ist?) und unter dieser allgemeinen Instabilität leidet wie immer natürlich besonders die einfache Bevölkerung. Mit den grausamen Tatsachen über Kinderhandel musste ich mich auseinandersetzten, als ich einen Bericht nach Berlin zu illegalen Adoptionen verfassen sollte. Auch durfte ich Zeuge der Aufnahme einer Anzeige zweier Touristen werden, die beobachtet hatten wie sich ein Deutscher knackige Knäblein aufs Hotelzimmer quasi per home delivery liefern ließ. Nepal entwickelt sich traurigerweise zu dem neuen In-Eldorado für Pädophile, weil man hier praktisch keine rechtlichen Konsequenzen fürchten muss und die Armut groß genug ist, die Menschen zu so manchem zu treiben. Wie auch die Unmengen an Straßenkindern beweisen, die völlig aufgekratzt vom Kleber schnüffeln nur wenige Jahre warten müssen bis sich ihr Gehirn davon zersetzt.
Glücklicherweise konnte man sich aber auch gelegentlich mit Sachverhalten auseinandersetzten, die ein wenig optimistischer stimmten. Wie die Berichte, die ich über die Ergebnisse einiger Kleinstprojekte verfassen sollte, die von der Botschaft finanziell unterstützt wurden. Unter anderem ermöglichen diese Frauen der Dalit (die Unberührbaren!) eine Schneiderausbildung, einen Brückenbau zur Verbindung dreier Dörfer im Hochgebirge oder die Versorgung armer Familien mit einfachen Kochsystemen, die das offene Feuer mitten im Zimmer ablösen (klingt zwar romantisch - Lagerfeuer im Wohnzimmer - führt aber dazu, dass sich viele Kinder starke Verbrennungen zuziehen oder die Frauen hier im Allgemeinen früher sterben, weil der ständige Rauch, dem sie beim Kochen und Heizen ausgesetzt sind, ihre Augen und Lungen frühzeitig zerstören!).
Ein recht bizarres Amüsement konnte ich auch so manchem deutschen Touristen abgewinnen, um die man sich ja auch in der Botschaft kümmert. Eine Dame rief doch tatsächlich am Wochenende beim Bereitschaftsdienst an, weil sie beim Trekken die Temperaturen unterschätzt und sich einen zu leichten Schlafsack eingepackt hatte. Sie fror nun also ungemein und erwartet steif und fest, dass sich jetzt bitte unverzüglich jemand in einen Helikopter schwingen sollte, um ihr einen dickeren Schlafsack vorbeizubringen - wofür zahle sie denn ihre Steuern? Apropos Touristen: die sterben hier weg wie die Fliegen - das kommt einem zumindest so vor, wenn die Botschaftseigene Kühlkammer mal wieder voll ist. Zum Großteil sind sie, so fies es auch klingt, selbst Schuld. Platz 1 der Todesursachen ist die Höhenkrankheit, die man durchaus vermeiden könnte, wenn man im Hinterkopf behalten würde, dass man im Himalaya und nicht in den Alpen unterwegs ist. Wenn man dann beim Einsetzen der ersten Kopfschmerzen und Übelkeit nicht ans Geld und die Ehre, sondern ans Umkehren und Absteigen denken würde, dann hätte man auch nicht das Problem, dass einem wenig später das Gehirn und die Lungen platzen würden. Knapp gefolgt von Platz 2: „Hey my friend! Tigerbalm? Riksha? No? Ah, you wanna smoke?“. Wenn man dieses verlockende Angebot zu oft bejaht, viel zu viel und alles zusammen einschmeißt, und auch ein kleines Pilzchen oder Pillchen nicht ausschlagen möchte - schließlich ist man ja nicht jeden Tag im Hippieparadies Freak-Street unterwegs - dann kann einen das durchaus niederstrecken.




Meine Gedanken schweifen weiter von den Aufgaben zu den Arbeitskollegen, die viel dazu beigetragen haben, dass mir die Tage in der Botschaft recht bunt vorkamen: Voilà, Mesdames et Messieurs, eine kleine aber feine Auswahl!
Krishna*, den wir sofort als den göttlichen Arbeitskollegen aus meinem sprachverzweifelten Bericht wiedererkennen, geht mir kaum bis zur Schulter, aber wenn er zu Lachen anfängt  und das tut er oft und ausgiebig  dann vibrieren die Wände. Er war noch nicht einmal in Deutschland, aber kennt Wörter wie „Raureif“ und begeistert uns mit längst vergessen geglaubten Redewendungen wie „warum ist die Banane krumm?“.
Palpasa*, die Tochter unserer schnuckligen Vermieter, ist als Telefonistin die gute Seele des Hauses und kümmert sich nicht nur um verschollenes Gepäck oder günstige Flüge, sondern auch um so entscheidende Dinge wie unsere mittäglichen Momos (das sind die nepalesischen Ravioli: „Buff C oder lieber Veg Steam oder soll ich heute doch mal Chicken Fry nehmen?“ damit hat sich die Auswahl dann aber auch schon erschöpft)
Frau Landunter*, die Sekretärin, ist nach reichlich C-Posten (beim Auswärtigen Amt werden die Auslandsvertretungen zur Beurteilung ihrer Behaglichkeit, Attraktivität und Sicherheit von A nach C eingestuft. Paris und New York wären danach ein glattes A, Afghanistan und Bagdad befinden sich als Härteposten bereits jenseits von C!) wie Dhaka, Karachi und nun Kathmandu die Gelassenheit in Person, was ihr einen unglaublich humorvollen Charme verleiht - und ja, so gechillt will ich auch mal sein, wenn meine Kinder groß sind und ich meinen Ehegatten endlich zum Teufel gejagt habe.
Herr Duracell*, der Kanzler, ist an seinem schallenden Gelächter meist aufgrund der eigenen köstlich sarkastischen Witze zu erkennen, die einem auch über so manche Widrigkeit hinweg schmunzeln helfen. Ihm verdenken wir beiden mittellosen Praktikanten es auch den wahrscheinlich zauberhaftesten Ort Kathmandus gesehen zu haben, das Hotel Dwarikas, in das er uns zu einem 12 gängigen Menü mit traditionell nepalesischen Speisen (mir rumpelt der Magen noch immer, wenn ich mir diese unglaubliche Massen an Essensbrei verdünnt mit verschiedenen Alkoholika in meinem Inneren vorstelle) zum Abschiedsessen ausgeführt hat. Das Dwarikas ist deshalb so erwähnenswert, weil ich mir so Nepal immer vorgestellt hatte, bevor ich die völlig verwahrlosten Kulturdenkmäler erblicken musste. Das Hotel hat traditionelle Wohnhäuser mit handgemachten Lehmziegeln restauriert, die typisch dunklen Holzschnitzereien an Fenstern und Türen zu neuem Leben erweckt und Brunnensysteme wieder funktionsfähig gemacht. Nepal wie es einmal war? Kultur als Projektion? Zukunft als Erinnerung?
Prinzessin Verena*, die Botschafterin, die immer ein wenig abgekämpft und zerstreut wirkt und dabei verzweifelt versucht die ganzen Termine in ihrem berstenden Kalender unterzubringen (man bemerke, wir sind hier NUR in Kathmandu - weltpolitisch nicht allzu bewegend!). Tapfer steht sie Dashain Partys bei den widerborstigen Maoisten sowie hippiemäßige Abendveranstaltungen mit scheinbar erleuchteten Volunteers durch, und hat dabei noch Zeit uns beide Praktikanten mit Partnern (das ist hier ein Schlüsselwort, nach dessen An- oder Abwesenheit auf der Einladungskarte man entscheiden kann, ob man über die Knausrigkeit des Gastgebers lästert oder den Umtrunk als Event bezeichnet) in ihrer Residenz zu bekochen, damit wir alle mal „hinter die Kulissen“ schauen können.
Herr Rosenzwerg* und alles andere als klein ist the sporty diplomat. Als Triathlet legt er den Weg zur Botschaft Morgens und Abends Laufend oder mit seinem Mountainbike durch das lebensmüde Verkehrstreiben in the streets of Kathmandu zurück. Gestählt hat er sich unter anderem vier Jahre lang beim Taekwondo Training auf seinem Posten in Nordkorea.
Frau Dipl. Lachmann*, die immer wieder mit einer Kuriosität bei uns in der Tür steht, wie dem schlechtest gefälschten Reisepass oder den Worten eines Antragsstellers für ein Studentenvisum, der sich eine Zukunft „bright as a glittering star“ in Deutschland verspricht. Das Geheimnis ihrer nie enden wollenden Energie und Motivation: täglich Tofu???
Herr News-Tikka*, politischer Berater, dessen englischer Akzent in den Staaten geschmiedet wurde, erhält besondere Bewunderung von uns Praktikanten dafür, dass er es während seines Studiums in den USA tatsächlich geschafft hatte ganze 49 von 50 Staaten zu bereisen.
Gnomi*, das Heinzelmännchen, wuselt immer eifrig mit einem Staubwedel wedelnd über die Gänge. Sie bringt uns jeden morgen den Tee an den Schreibtisch, möchte aber jedesmal im Boden versinken, wenn wir uns bedanken. Regelmäßige Reaktion: Kichern, Kopf senken, rot werden und kaum verständlich irgendwas von „you're welcome, miss“ murmeln. Wenn man ihr Reich, die Küche, betritt, um sich ein Glas Wasser zu zapfen, springt sie aufgeschreckt auf den Gang und beginnt als Übersprungshandlung den Bilderrahmen zu polieren.
Und last but not least: Herr Grisini, the Bodyguard*, mein Mitpraktikant, und mal wieder völlig entnervt: „What to do in Kathmandu???“

Jemand zupft mich am Ärmel und schiebt mir ein Notenblatt hin. Meine Gedanken finden sich langsam wieder im Botschaftergarten ein. Jetzt sollen wir auch noch deutsche Weihnachtslieder anstimmen?!? Sogar der nepalesische Gärtner und die Wachmänner brummen bemüht mit, auch wenn sie kein einziges Wort deutsch verstehen. „Wie absurd ist das denn alles!“, kichere ich in mich hinein, nippe an meinem Punsch, der mir hier unter der nepalesischen Mittagssonne eigentlich viel zu heiß ist. Ich lasse meinen Blick in die Runde schweifen - alle versuchen sich angestrengt an „Oh Tannenbaum“ (nur „Leise rieselt der Schnee“ wäre noch skurriler gewesen in dieser Umgebung!) Ich grinse zufrieden bei diesem Anblick, und freue mich, dass ich hier sein durfte, und freue mich, dass es weitergeht...

* (alle mit einem * gekennzeichneten Namen wurden von der Redaktion geändert) 


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